Es ist nun 3,5 Monate her, seitdem meine Schwester gestorben ist. Ich weiß in meinem Kopf, dass sie nicht mehr lebt – ich habe sie ja schließlich tot gesehen. Dennoch begreife ich es in meinem Herzen nicht. Das macht mir Angst. In den ersten Wochen war es am schlimmsten: Ich hörte noch ihre Stimme in den Ohren, ich sah sie regelrecht um die Ecke biegen und mich anlächeln. Das klingt verrückt und es fühlte sich auch so an. Dieses Nicht-Begreifen-Können ist furchtbar. Erst, als ich in einem Buch über die einzelnen Trauerphasen stolperte, konnte ich erleichtert aufatmen. Mein Verhalten ist ganz normal. Eine der Traueraufgaben ist schlichtweg, den Tod des geliebten Menschen zu begreifen. Erst dann kann man sich mit den Gefühlen auseinandersetzen, die diese Tatsache hervorruft.
Erste Aufgabe: Das Begreifen
Der amerikanische Psychologieprofessor J. William Worden hat einige Traueraufgaben definiert. Er sieht Trauer als “Arbeit”, in der es gilt, sich mit der verändernden Welt durch den Verlust auseinanderzusetzen. Worden skizziert folgende Traueraufgaben:
- Den Verlust begreifen und als das, was er ist: Der oder die Verstorbene ist tot; er ist fort von der Welt, in der wir leben
- Sich mit dem Schmerz des Verlustes auseinandersetzen, ihn anerkennen und durchleben
- Das Leben geht weiter; die Welt dreht sich auch ohne die Verstorbene bzw. den Verstorbenen. Für Trauernde bedeutet das, sich auf die veränderte Realität, auf das neue Gefüge in der Familie und in der Umwelt, einzustellen.
- Die letzte Aufgabe ist das Zuwenden zum eigenen Leben. Es ist wichtig, der Verstorbenen oder dem Verstorbenen einen Platz zuzuweisen, der auch noch anderen Platz lässt. Worden beschreibt dies auch als “Loslösen” von der verstorbenen Person, um die freigewordene Energie in neue oder bestehende Beziehungen zu investieren.
Was den Tod meines Vaters betrifft, kann ich sagen, dass ich die vierte Aufgabe bewältigt habe, auch wenn ich von dem Begriff “Loslösen” nicht viel halte. Ich habe den Verlust akzeptiert und einen Weg gefunden, damit umzugehen. Der Schmerz ist an manchen Tagen noch deutlich spürbar; er hindert mich aber nicht mehr daran, Gutes in meinem Leben zuzulassen. Ich habe mich also nicht losgelöst, sondern bin mit meinem Vater auf eine Art und Weise verbunden, die mich nicht am Leben im Hier und Jetzt hindert.
Bei meiner Schwester sieht das noch anders aus. Ich kann erst jetzt, vier Monate später, sagen, dass ich allmählich anfange, den Tod zu begreifen. Das ging vorher schlicht und einfach nicht. Ich stecke also mittendrin.
Quellen:
www.trauerbegleiten.at
Einen guten Artikel zur Trauerarbeit gibt es hier zum Nachlesen.
1 Comment
Tja, den Verlust zu begreifen fällt immer sehr schwer. Dadurch lieber sprechen oder schreiben…Wenn es vorzeitig gemacht wird, gibt es die Chance, sich wenigstens darauf vorzubereiten und zu keiner Leere im Herzen zu kommen. Das Leben lässt sich doch nach der Bestattung in unserem Herzen fortzusetzen.