Es ist der 14. Juli, 14 Uhr. Mein Geburtstag. Heute werde ich 36 Jahre alt. Heute kommst du auf die Palliativstation. Kann ich jemals wieder meinen Geburtstag feiern, ohne das Bild dieser Station vor Augen zu haben?
Ich parke das Auto in der Tiefgarage und gehe ins Freie. Es ist ein heißer Sommertag. Mein Blick bleibt bei einem Blumengeschäft vor dem Krankenhaus hängen. Instinktiv zieht es mich hinein und ich kaufe Orchideen, deine Lieblingsblumen. Das weiß ich noch nicht lange. Wir haben nie über Derartiges gesprochen. Für Gespräche, die über Kinder und Arbeit hinausgingen, war kaum Raum. Sicherlich standen bei dir zuhause immer viele Orchideen auf der Fensterbank. Ich hinterfragte das nicht. Denn im geschäftigen Alltag erschien die Information, was deine Lieblingsblume ist, unwichtig. Hier und jetzt bedeutet es mir aber unendlich viel, dass ich weiß, welche Blume ich dir kaufen kann, um dir Freude zu schenken. Vermeintlich Unwichtiges hat eine andere Bedeutung in diesen Tagen. Lieblingsblume, Lieblingsmusik, Lieblingsduft. Jetzt weiß ich, dass man diese Dinge von nahestehenden Menschen wissen sollte, denn irgendwann kann der Tag kommen, wo es nur darauf ankommt.
Ich will hier nicht sein
Schließlich betrete ich die Klinik. Es ist zwar eine andere, dennoch gleicht sie dem vorherigen Krankenhaus: die gleichen langen Gänge, die gleichen Gerüche und Geräusche. Als sich die Türen des Lifts zur Palliativstation öffnen, hadere ich einen Augenblick. Ich will hier nicht sein und noch weniger will ich, dass du hier bist. Aber was soll ich machen? Ich kann nichts tun, als einen Fuß vor den anderen zu setzen und zu deinem Zimmer zu gehen.
Als ich anklopfe, bin ich nervös; mein Herz schlägt heftig in der Brust. Was erwartet uns hier noch alles auf dieser Station, wo das Leben nur eine einzige Richtung kennt?
Würdig leben bis zum Abschied
Aber ist das nicht immer so? Wie abgehoben leben wir heute eigentlich, dass wir uns anmaßen, den Tod so sehr verdrängen zu können? Er ist gegenwärtig, immerzu, immerfort. Nur wir in unserer ach so modernen Gesellschaft verbannen ihn auf Stationen ins Krankenhaus, um ihm ja so lange wie möglich nicht bewusst gegenübertreten zu müssen. Doch das Verrückte dabei ist: Er ist dennoch hier, ob wir ihm nun wohlwollend entgegenlächeln oder ihm den Rücken kehren; ob wir das Leben samt Tod annehmen oder weiter die Endlichkeit ignorierend dahinleben. Er verschwindet nicht. Und hier begreife ich erstmals, dass es nicht um das Sterben geht auf diesen Stationen, sondern ums Leben. Um ein würdiges Leben bis zum Abschied.*
*Bei diesem Text handelt es sich um einen Auszug aus einem in wenigen Monaten erscheinenden Buch von lebe los.