Es ist bereits ein paar Wochen her, als ich zufällig in ein Gespräch mit einer Nachbarin verwickelt war. Doch diese zufällige Zusammenkunft hallt immer noch nach. Vor allem ein Satz lässt mich nicht los, bringt mich zum Nachdenken über etwas, was mir in den letzten Monaten abhandengekommen ist: Vertrauen.
Vertrauen ins Gute
Ich begegnete der Nachbarin eines Nachmittags beim Spazierengehen. Sie war mit ihrem Hund unterwegs und erzählte mir davon, dass in einem nahe gelegenen Gehege einige Hirsche ausgekommen sind, die nun im Wald herumirrten. Und genau durch diesen Wald führt eine Straße, die ich – wie so viele andere – fast täglich befahre. Der Nachbarin machte das etwas Angst. „Mit so einem möchte ich nicht zusammenstoßen“, waren ihre Worte. Sie warnte deshalb auch eine Freundin, die sie vor ein paar Tagen besucht hat. Sie solle ja aufpassen bei der Fahrt durch den Wald! Diese aber schien sich daraus nichts zu machen und antwortete vergnügt: „Ich habe eh ein paar Engel, die auf mich aufpassen.“
Engel. Aufpassende Engel. Dieser eine, vielleicht sogar leichtfertig dahingesagte Satz ließ mich aufhorchen. Ich musste auf meinem Weg nach Hause immer wieder darüber nachdenken. Was mir nicht aus dem Kopf ging, war dieses unbändige Vertrauen, das mit dieser Aussage verbunden ist. Vertrauen, das alles gut geht. Vertrauen, dass es das Leben gut meint. Vertrauen, dass einem nichts passiert.
Zerplatzte Hoffnung
Zu einer solchen Aussage wäre ich nicht fähig, weil es mir genau an diesem Vertrauen mangelt. Seit wann? Nicht erst seit dem Tod meiner Schwester, so viel ist gewiss. Doch ihr Tod hat dieses Etwas, das noch an Glauben vorhanden war, erneut erschüttert. Der plötzliche Tod meines Vaters ist sicher ein Grund dafür, dass ich lange mit dem Leben gehadert habe. Ich sah das Glas halb leer. Mein Leben hat sich an diesem Tag so dramatisch von einer Stunde auf die andere verändert, dass ich haltlos zurückblieb. Es musste viel dauerhaft Gutes geschehen, bis ich dieses dann nicht mehr misstrauisch hinterfragte und mir nicht mehr ständig ausmalte, wie es wohl sein muss, wenn mir auch das wieder weggenommen werden würde.
Dann die Krebsdiagnose meiner Schwester. Es folgten Monate, in denen „immer nur das Schlimmste“ passierte, wie sie selbst sagte. Jegliche Hoffnung zerplatze. Es war, als würde jemand über sie bestimmen: „Du hast jetzt zu sterben.“ Nichts half. Wo waren unsere Engel, die doch auf uns aufpassen sollten?
Einfach nur Pech
Mein Lebens-Misstrauen ist nach ihrem Tod zurück. Mir mangelt es an Leichtigkeit, um an das Gute zu glauben. Zu sehr schwingt noch die Angst mit, dass wieder etwas so Schlimmes passieren könnte – von einer Stunde zur anderen. Und dann ist es aber genau meine Schwester, die mir mit ihren Worten Vertrauen schenkt. Sie hat nie vom schlechten Karma gesprochen, nie von bösen Mächten. Für sie als pure Realistin war ihre Erkrankung Pech. „Ich habe viel Pech gehabt.“ Punkt. Aus.
Was bringt mir das Hadern mit Gott? Was bringt mir meine Wut auf die Ungerechtigkeit des Lebens? Geht sie dadurch weg? Nein. Die vielen Jahre des Zweifelns nach dem Tod meines Vaters haben mich eines gelehrt: Es ist schlimm, ohne Vertrauen zu leben, weil an jeder Ecke Gefahren lauern, weil man das Gute dadurch nicht schätzt oder gar – noch schlimmer – übersieht. Hell und Dunkel, Licht und Schatten, Glück und Pech existieren miteinander. Beides zuzulassen, darauf kommt es für mich wohl an. Und dann haben hoffentlich auch meine Engel wieder Lust, öfter vorbeizuschauen.