Meine Trauer bahnt sich in letzter Zeit oft auf ganz dominante Weise ihren Weg an die Oberfläche. Im Alltag liegt sie meist verborgen, umhüllt vom Trudel mit meinen Kindern und dem Chaos zwischen Arbeit und Familie. Dann, an manchen Tagen, überfällt sie mich mit ihren schwarzen Schwingen und bringt mich mitten im Tun zum Innehalten. Vor ein paar Tagen war es ein Lied im Radio, das alle Schleusen der Trauer öffnete. Ich verharrte plötzlich still im Wohnzimmer und rang um Luft. Zu meinen Kindern hörte ich mich sagen: „Das Lied hat mich sehr traurig gemacht.“
Es ist, wie es ist
Ich kann ihnen nichts vormachen und will es auch gar nicht. Sie dürfen miterleben, mitbekommen, wie es ist, wenn jemand für immer geht, wie schmerzhaft es ist, diese Person niemals wieder zu Gesicht zu bekommen, niemals wieder ihre Stimme zu vernehmen. Anfangs machte es mich wütend, dass meine Kinder in so jungen Jahren mit einem so schweren Thema so unmittelbar konfrontiert sind. Aber was soll ich tun? Es ist, wie es ist. Anfangs hielt ich ihre eigene Trauer deshalb kaum aus. Sie war mir lästig, weil ich doch selbst so viel zu beweinen hatte und nicht auch noch als Tröster agieren wollte. Ich fühlte mich noch elendiger, noch bemitleidenswerter. Doch sind es genau meine Kinder, mit denen ich gerade am meisten meine Trauer leben darf. Weil sie selbst auch noch trauern. Weil sie mich mit meinen Gefühlen absolut ehrlich annehmen. Weil sie es sind, die mir Vorbild sind, indem, wie man mit einem schweren Verlust umgehen kann. Sie lehren mich, in die Trauerpfützen mit voller Leidenschaft zu springen, sie zu durchleben und wieder herauszuhüpfen. Und so wunderte es mich nicht, als mein ältester Sohn auf meinen Satz entgegnete:
Ein schöner Engel
„Ich weiß, warum du traurig bist. Wegen deiner Schwester.“ Der Jüngste – erst zwei und doch so wissend – nickte verständnisvoll: „Tante im Himmel. Tante gestorben.“ Es entstand eine Diskussion. „Leiter brauchen, Himmel hinauf!“, meinte der Zweijährige. „Das geht aber nicht“, erklärte der Fünfjährige. „Die Tante ist nämlich ein Engel“. Dieser Satz erstaunte mich, weil ich nie von so etwas gesprochen habe. Er berührte mich aber auch, weil ich mir meine Schwester als sehr schönen Engel vorstellen kann. „Engel keine Hände!“, sagte wieder der Jüngere und dachte wohl an eine Engelsfigur, die bei uns in der Küche steht. „Sicher hat ein Engel Hände oder, Mama?“, fragte mich nun der Älteste. „Ich weiß es nicht“, sagte ich ehrlich. „Es wäre aber schön, wenn eure Tante ein Engel wäre, dann könnte sie uns immer besuchen.“ Und vielleicht tut sie das tatsächlich, auch wenn wir sie mit unseren Augen nicht sehen können …
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Hallo liebe Birgit, mit Anteilnahme verfolge ich deine Beiträge. Sehr offen und ehrlich. Zu diesem Beitrag, Engel haben keine Hände— wir haben die Hände und wirken manchmal wie Engel. Auch du warst für deine Schwester ein Engel. Deine Kinder streicheln dich — schließe die Augen, vielleicht wirkt deine Schwester durch die Hände deiner Kinder.
Alles Liebe Anni