Nach Wut und Traurigkeit ist es jetzt eine andere Emotion, die mich sehr häufig in Besitz nimmt: Angst. Sie schwingt immer mit und bricht in manchen Momenten ganz stürmisch hervor. Sie macht sich als Druck in der Brust bemerkbar, als schwere Last, die mir den Atem nimmt. Sie lähmt meine Gedanken und mein bewusstes Erleben. Das ist schwer auszuhalten, weil ich genau weiß, was diese Angst hervorruft: Es ist die Furcht davor, ein ähnliches Schicksal wie meine Schwester zu erleiden. Die Furcht, auch so früh zu sterben, so dramatisch und überraschend.
Mangelnde Annahme
Diese Angst bewirkt, dass ich gerade viel zu sehr auf meinen Körper fixiert bin. Jedes kleinste Wehwehchen interpretiere ich als etwas Schlimmes. Warum? Weil mir das Vertrauen fehlt. Nach den vier Monaten Kranksein im Winter misstraue ich meinem Körper. Er ist nach den Strapazen des letzten Jahres geschwächt. Das leuchtet ein, nur fehlt mir die Geduld, diese Schwäche anzunehmen. In manchen Momenten will ich einfach nicht mehr ständig daran erinnert werden, was alles war. Mein geschwächter Körper macht dies aber fast unmöglich. Wie ein Mahnmal prangt er vor mir.
Weglaufen
Die Angst rührt aber sicher auch daher, weil ich so unmittelbar gesehen habe, wie schnell Krebs einen Körper ruinieren kann. Wie rasch sich diese todbringenden Metastasen ausbreiten und alles mit sich in den Abgrund reißen. Wie schnell aus Leben Tod wird. Das schürt in mir eine große, alles lähmende Furcht. Wird der Druck in der Brust zu groß, renne ich weg – im wahrsten Sinne des Wortes. Wie heute Morgen, als ich weinend im Wald herumlief. Irgendwann hielt ich erschöpft inne und fühlte in mich hinein. Die Angst war weg. Erleichterung machte sich breit, auch wenn ich aus Erfahrung wusste, dass diese Empfindung bald wieder schwinden würde. Aber immerhin, für den Moment hatte es sich gelohnt. „Denken Sie an jemanden, der alt geworden ist und halten Sie sich diesen Menschen bewusst immer wieder vor Augen“, rät mir meine Psychologin. Mir fällt meine Oma ein, die sofort mit einem lachenden Gesicht vor meinem geistigen Auge erscheint. Und an manchen Tagen schafft mir das tatsächlich Erleichterung. Ich schöpfe Hoffnung. An anderen Tagen überfällt mich bei dem Gedanken an sie eine große Traurigkeit, weil schon so viele Menschen gehen mussten. Und dann bricht sogar wieder die „alte“ Trauer um meinen Vater heraus. Das wiederum ruft ein Wirrwarr an Gefühlen hervor, das mich mürbe macht. Und so ziehe ich wieder meine Laufschuhe an und versuche, der Last zu entfliehen – wenn auch nur für einen kurzen Moment.