Im Urlaub sehe ich ihn zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit: den sternenklaren Himmel. Ich staune angesichts dieser Schönheit. Doch schon einen Augenblick später überkommt mich große Traurigkeit. Ein schmerzendschöner Satz, den meine Schwester in deinen letzten Lebenstagen zu uns gesagt hast, kommt mir plötzlich in Erinnerung: “Ihr müsst euch denken, dass ich als schöner Stern am Himmel für euch leuchte.” Einige Minuten verharre ich regungslos und kann einfach nicht mehr nach oben blicken. Ich höre sie regelrecht diese Worte erneut sagen und bin unsagbar traurig.
Kann ich glauben?
Irgendwann atme ich tief durch und sehe erneut zum Himmel. Tränen fluten meine Augen. Wo ist sie? Dieser eine Stern da oben, der so aufgeregt leuchtet und sich von den anderen abhebt? Kann ich an so etwas wirklich glauben? Mich überkommt ein starkes Gefühl des Vermissens. So sehr würde ich daran glauben können, dass sie zumindest noch dort oben ist. Zwar weit weg von uns, aber immerhin wäre sie uns in den Nächten mit ihrem Licht nahe.
Es ist der erste intensive Trauerschmerz, den ich in diesem Urlaub spüre. Die Seelenstille der Tage zuvor hat gut getan. Ich fühlte mich wie in einer Blase fernab aller Probleme und allen Leids. Nun muss ich unweigerlich an den Urlaub vor einem Jahr denken, wo noch alles anders war, wo du noch am Leben warst. Täglich haben wir miteinander telefoniert und ich auf erlösende Nachrichten gehofft, die sich letztlich nicht einstellen wollten. Die Ungewissheit dieser Zeit zerrte ungemein an den Nerven und machte es mir unmöglich, die damalige Urlaubszeit zu genießen. Es sah nicht gut aus, dennoch hatte ich noch Hoffnung, dass wir zumindest noch einige Monate vor uns haben, die wir gemeinsam erleben konnten. Wie schnell dann alles gehen musste, ahnte ich nicht, sonst wäre ich wohl auch nicht weggefahren.
Ein schöner Stern
Nun, ein Jahr später, ist aus meiner Schwester der schöne Stern geworden, den ich noch nicht wirklich anblicken kann. Tränen verschleiern die Sicht. Und ich muss erkennen, dass mir dieser wunderschöne Satz aus ihrem Mund noch zu wenig Trost spendet. Vielleicht kann ich in ein paar Jahren in den Sternenhimmel blicken und dankbar auf das sein, was alles möglich war, was sie mir an Reichtum und Einsichten hinterlassen hat. Heute ist die Trauer noch zu groß. Der Stern ist einfach kein Ersatz für sie, auch wenn ich zutiefst zu schätzen weiß, was sie uns mit dieser Aussage an Hoffnung, Mut und Zuversicht mitgegeben hat. Seufzend wende ich mich ab von diesem schönen Sternenhimmel und dem zu, was im Hier und Jetzt noch da ist: mein Mann etwa, der seelenruhig ein Buch liest. Wenn Seelenruhe doch nur ansteckend wäre …