Bald ist er da, mein Geburtstag. Ich denke mit sehr gemischten Gefühlen an diesen Tag, denn genau ein Jahr zuvor kam meine Schwester auf die Palliativstation und ich habe sie dort das erste Mal besucht. Ich war sehr nervös, als ich die Räumlichkeiten betrat und konnte es nicht wirklich begreifen, dass sich innerhalb so kurzer Zeit unser aller Leben derart schnell verändert hat.
Endstation! Auch wenn ich mich gegen dieses Wort wehrte, hallte es immer wieder in meinem Kopf. Wie wird es uns hier ergehen? Was muss meine Schwester noch alles durchmachen bis zu ihrem Tod? Wie wird sie sterben? Wie können wir die restliche Zeit noch nutzen? Wie viel bleibt uns überhaupt noch? Fragen über Fragen begleiteten mich auf diesen letzten Metern bis zu ihrem Zimmer.
In guten Händen
Bereits nach wenigen Minuten auf der Palliativstation war mir klar, dass wir hier richtig aufgehoben sind. Es war ein gänzlich anders Erleben als im restlichen Krankenhaus. Nicht nur meine Schwester war in guten Händen, auch uns Angehörigen schenkte man Gehör. Das tat ungemein gut. Hier herrschte eine Stille und Ruhe, die mich sofort ergriffen machte und fühlen ließ, was wirklich wichtig war. Ich spürte mit allen Sinnen, dass wir hier mit unserem Leid und unserer Not gesehen wurden; dass meine Schwester kein anonymer Patient im Endstadion einer Erkrankung war, sondern eine Ehefrau, Mutter, Tochter und Schwester, die in Würde und mit Respekt ihre letzten Tage verbringen wollte.
Wenn ich heute an diese erste Begegnung mit meiner Schwester auf der Palliativstation denke, dann habe ich ein Bild von einer wahrhaft tapferen und mutigen Frau im Kopf. Einer Frau, die nicht mit ihrem Schicksal oder sonstigen Mächten gehadert, sondern realistisch ihrem bevorstehenden Tod entgegenblickt hat. Das kommt nicht oft vor, wurde mir von einer Ärztin mitgeteilt. Ich bin stolz. Stolz auf diesen Menschen, den ich meine Schwester nennen darf.
Leben geben
Als sie mir dann zum Geburtstag gratuliert, fließen die Tränen. Ich weiß, dass es das letzte Mal sein wird, dass ich diese Worte aus ihrem Mund höre und kann nicht aufhören zu weinen. Wie kann das Leben nur so schmerzhaft sein? Ob mir die Feuerschale gefällt, die mir ihr Mann einige Stunden zuvor als Geburtstagsgeschenk überreicht hat, fragt sie mich. Natürlich, sie passt perfekt! Meine Schwester und ich haben uns viele Jahre nichts zum Geburtstag geschenkt, weil wir irgendwann übereinstimmten, dass uns der Aufwand einfach zu groß war und sowieso jeder alles hatte. Das änderte sich mit ihrer Krebserkrankung. Ohne großartig darüber zu sprechen, fingen wir wieder an, uns Geschenke zu machen. Der „Aufwand“ war es uns plötzlich wert. Wenn ich heute vor dieser Feuerschale in unserem Garten stehe, sehe ich automatisch das lächelnde Gesicht meiner Schwester und bin so dankbar über dieses Geschenk. Die Blumen und Sträucher dahinter habe ich einige Stunden vor ihrem Tod nichtsahnend in einem Geschäft gekauft. Sie sehen welk aus. Der Boden, auf dem sie wachsen, ist nicht nahrhaft genug. Irgendwie schaffe ich es gerade nicht, daran etwas zu ändern. Vielleicht gelingt es mir in ein paar Monaten, ihnen mehr Erde zum Leben zu geben, wenn ich selbst wieder mehr zu geben habe.