Es ist heute ein Jahr her, als ich am Telefon erfahren habe, dass sich ein schrecklicher Verdacht bestätigt: Die Nachricht meiner Schwester, sie sei unheilbar krank, schlug mitten ins Herz. Ich konnte es nicht begreifen. Sie stirbt, hallte es durch meinen Kopf. Wahrscheinlich auch noch sehr bald …
Ein fürchterlicher Albtraum
Ich habe gezittert und geweint und hätte am liebsten das Telefon aus dem Fenster geworfen, als wir das Gespräch beendet haben. Unfähig, mich auf diese schreckliche Nachricht wirklich einzulassen, habe ich dann aber erneut zum Hörer gegriffen. Ich wollte so schnell wie möglich zu ihr ins Krankenhaus und habe alles in Bewegung gesetzt, um rasch jemanden zum Aufpassen für meine Kinder zu organisieren. An die Fahrt kann ich mich kaum erinnern. Tränen strömten über mein Gesicht; ich habe geschrien und Gott und die Welt verflucht. Wie kann das alles wirklich passieren? Warum erwache ich nicht aus diesem absolut fürchterlichen Albtraum?
Am Abgrund
Es fällt mir schwer, heute, ein Jahr später, die Einzelheiten dieses Tages in Erinnerung zu rufen. Es schmerzt zu sehr. Ich sehe uns weinen und Hände halten. Ich sehe uns Eis essend um Fassung ringen. Ich sehe uns Dinge organisieren und über Vergangenes reden. Ich sehe vor allem aber zwei Menschen in einem Zimmer sitzen, die sich trotz unsagbarer Seelenschmerzen mit aufrichtiger Liebe begegnen. Ich konnte damals nicht begreifen, woher meine Schwester die Stärke nahm, mit der sie ihr Schicksal akzeptierte und kann es heute noch nicht. Ihre Haltung gab auch mir Kraft, das Kommende durchzustehen, auch wenn ich nahe vorm Zusammenbruch stand.
Gut und schlecht
Es ist Abend und ich sitze vor der Parte, dich ich erst jetzt einrahmen kann. Ich lese ihre letzten Worte. Es sind Dankesworte, die sie für uns verfasst hat, und weine. Lange Zeit lagen diese Zettel im Regal. Das Weinen befreit; es wird ruhig in mir. Wie geht es mir ein Jahr nach diesem schweren Schicksalsschlag? Gut und schlecht. Ich kann wieder genießen, wieder lachen und echte Freude empfinden. Ich bin dankbar für meine Familie, für meine lebensfrohen, quirligen Kinder, für meinen liebevollen, aufrichtigen Mann. Ich bin dankbar für unerschütterliche Freundschaften, für herzerwärmende Begegnungen. Ich bin dankbar für den Ort, an dem mich das Schicksal geführt hat mit all den liebevollen Menschen, die hier wohnen. Ich bin dankbar, dass ich diese Welt mit ihrer Schönheit und in Gesundheit erleben darf. Gleichzeitig aber bin ich unfassbar traurig, dass dieser eine Mensch, der mein gesamtes bisheriges Leben an meiner Seite war, mit dem ich so viele berührende Momente erleben durfte, nicht mehr hier ist. Es tut einfach so weh. Ob ich sie dennoch spüre? Ja, das tue ich und an manchen Tagen ist das genug für mein verletztes Herz. An anderen Tagen reicht es bei Weitem nicht, weil mir ihr einzigartiges Wesen und Sein zu sehr fehlt.