Drei Wochen lang lag meine Schwester auf der Palliativstation. Während dieser Zeit habe ich viele Emotionen durchlebt: Verzweiflung, Angst, Dankbarkeit, Hoffnungslosigkeit, Liebe, Überforderung und Wut.
Sie lebt, ihr Idioten!
Diese Wut zeigte sich eines Morgens mit einer ungeheuerlichen Wucht: Nach dem Aufwachen ging ich in die Küche und blickte auf mein Handy. Ich erschrak und konnte es im ersten Augenblick gar nicht richtig begreifen, was ich da las: eine Beileidsbekundung! Mein Herz hämmerte, Tränen schossen in meine Augen und ich spürte, wie ich innerlich brodelte. Ich war so unsagbar wütend – nicht auf den Sender dieser Nachricht, der sich sofort entschuldigte, als ich ihm sagte, dass meine Schwester noch lebt, sondern auf dieses schmerzende Getratsche angesichts einer so tragischen Situation. „Sie lebt noch, ihr Idioten!“, hätte ich am liebsten in die Welt hinausgeschrien. Nicht mehr viel, aber immerhin: Sie lebt! Und wir klammerten uns an dieses bisschen Leben, weil es alles war, was wir noch hatten und weil es alles war, was in diesen Tagen zählte.
Was hätte es gebracht?
Diese Nachricht ließ eine Wut über dieses sinnbefreite Gerede aufkommen. Eine Wut, die mich innerlich brennen ließ. Was fällt diesen tratschenden Leuten bloß ein, nicht einmal bei so einem heiklen Thema den Mund zu halten? Wie kann man nur so taktlos sein? Mein Ärger hörte irgendwie gar nicht mehr auf, hatte aber letztlich keinen Adressaten. Wem sollte ich die Schuld geben? Was hätte mir diese „Schuldzuweisung“ gebracht? Nichts. Ich hätte nur noch mehr Kraft gelassen. Der Tratsch hätte deswegen nicht aufgehört. Totgesagte leben scheinbar länger, heißt ein Sprichwort. Was ist lang, habe ich mich damals gefragt.
Sinnbefreites Gerede
Heute, ein Jahr später, ist die Wut verebbt. Ich kann mich angesichts dieser Erfahrung nur selbst an der Nase nehmen und in Momenten, wo es einfach nicht angebracht ist, meinen Mund halten. Wir alle, mich eingeschlossen, tratschen – mal mehr, mal weniger. Wo die Grenze verläuft zwischen urmenschlichem Kommunikationsbedürfnis und sinnbefreitem Gequatsche kann ich nicht sagen. Was ich aber sagen kann, ist, wie sehr es schmerzt, wenn man selbst ein ungewollter Teil dieses Geredes ist.
Wir Menschen tratschen, wie die Spatzen, den lieben langen Tag:
Host scho ghört? Wos, des waßt du ned?
De hod Krebs und ois is z‘spät!
Geh, vielleicht is a scho gstorbn,
hod den Kampf endgültig verlorn.
In da Lung, im Mogn, wos was i
Sicher is de a boid hi!
Da Krebs, des is a gfernzta Hund,
trifft a de moant ma pumperlgsund.
Wos, des stimmt ned? Sie lebt nu?
Jetzt hör ma doch amoi kurz zu:
I hob nur gred, wos olle sogn
Do kaunst di jetzt ned recht beklogn!
Des tuat weh, won i des sog?
Geh, wos is des scho für Plog?
Hoibwohrheiten hin und her
Des mocht kan Unterschied jetzt mehr.
Wos mir eifoid? Werd ned frech!
I bin ned de mit so vü Pech!
Liegts im Sterben oda is scho tot,
wos is dabei, wen i des weidasog!
Wen soid i den damit verletzn?
Trotschn duad jeder, gibt nix z‘versteckn.
Aso, dei Schwesta is des …
*STILLE*
Des tuat ma lad,
bist owa söwa gscheid odraht!
Sogst ka Woart, losst mi aurenna
Des is jo nu des ollaschena.
I muaß jetzt weg, pfiadi Gott!
Is nächste Moi sogst gfälligst glei a Wort.