“Feiern wir da?”, fragt mich mein ältester Sohn, als ich ihm erzähle, dass seine Tante heute 50 Jahre alt geworden wäre. “Hm”, überlege ich. “Eigentlich macht man das nicht.” Es ist einfach noch zu traurig, denke ich, finde die Idee aber schön. Den Geburtstag von Verstorbenen zu feiern, ist bei uns nicht üblich. Ich könnte mir derartige Feste aber durchaus vorstellen, vor allem deshalb, weil ich einen Satz nicht loswerde: “Den 50er hätte ich gefeiert”, hat meine Schwester mir verraten, als sie auf der Palliativstation ihre letzten Tage verbracht hat. Sie wäre froh gewesen, überhaupt so alt zu werden. Doch der Wunsch blieb ihr verwehrt.
Glücklich altern
Was macht das mit mir? Ich überlege in den letzten Tagen intensiv, warum so wenige Erwachsene Geburtstage feiern, warum das Älterwerden für viele eher eine unangenehme Sache ist, warum wir damit “Altsein” verbinden und nicht das Glück, altern zu dürfen. Doch wie geht das überhaupt in einer auf Jungsein getrimmten Gesellschaft? Und warum ist vielen der “Aufwand” einer Feier zu groß? Haben uns die Mühen des Alltags so sehr im Griff, dass wir auf Feste verzichten, weil uns das bisschen Ruhe alles wert ist?
Ich werde heuer 40. Das macht mir Angst. Nicht jeden Tag, aber immer wieder mal. Und zwar deshalb, weil mein Vater mit nur 44 Jahren entschieden hat, nicht mehr Leben zu wollen. Weil meine Schwester mit 44 Jahren an Krebs erkrankt ist und zwei Jahre später daran starb. War früher die 40 eine Zahl, die unendlich weit weg erschien, ist sie plötzlich in absolute Nähe gerückt. Ich fühle mich nicht so alt, wie ich meinen Vater mit den Augen jenes Kindes gesehen habe, das ich war, als er so plötzlich aus dem Leben schied. Er erschien mir damals als großer, älterer Mann. Nun, da ich selbst bald 40 werde, weiß ich, dass er noch so jung gewesen ist. Er hatte noch sein halbes Leben vor sich und wollte dennoch gehen. Das Leben war für ihn eine Qual und es lohnte sich für ihn nicht, es in dieser Form weiterzuleben. Welch bitterer Hohn, wo meine Schwester doch so gerne noch gelebt hätte, um zu feiern, den 50er zumindest.
Von wegen fair
Das Leben ist nicht fair, zu keiner Zeit. Fairness können wir selber schaffen, indem wir uns gerecht verhalten. Diese Gerechtigkeit können wir uns aber nicht vom Leben an sich erwarten. Niemals. Das ist bitter, aber eine Tatsache, die wir wohl akzeptieren müssen. Ich sage das auch meinen Kindern, die mich dann meist misstrauisch, aber nachdenklich ansehen. Was ich versuche, ist, ihnen einen gerechten Umgang mit Menschen vorzuleben, sie aber auch darauf vorzubereiten, dass wir vieles, was auf uns zukommt, nicht ändern können. Wer hat einen schweren Schicksalsschlag schon verdient? Wer bestimmt, wen es schwerer trifft im Leben als andere? Gegen viele Dinge können wir nichts tun. Wir können uns nur mit ihnen abfinden, nur versuchen, das Leben weiterzuleben und dort, wo zu viel Schatten ist, wieder mehr Licht einfallen zu lassen. Licht, das wir in schönen Momenten im Alltag oder in bereichernden Begegnungen mit Menschen finden.